„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!“ Als Margarete die Schmuckschatulle öffnet, die ihr Faust übermitteln lässt, wird ihr auf den ersten Blick bewusst: Diese Sehnsucht nach glänzenden Kostbarkeiten führt ins Verderben. 1808 formulierte Goethe in der Tragödie Faust die schrecklichen Folgen dieser verhängnisvoll-trügerischen Verführung.* Und nun Christoph Columbus, der genuesische Seefahrer in spanischen Diensten, den Werner Egk zum Titelhelden seiner Radio-Oper Columbus machte, die 1932 im Bayrischen Rundfunk uraufgeführt wurde, 1942 dann zum ersten Mal szenisch in Frankfurt am Main erschien. Die Oper Bonn bringt das Werk im Rahmen der Reihe FOKUS |’33| in einer opulenten Inszenierung auf die Bühne.
Gold – die vorherrschende Farbe im Bonner Columbus. Golden die gesamte Rückwand hinter dem Orchester, das diesmal auf der Bühne spielt. Gleißend die Gewänder der drei Räte im Konzil, die schließlich die Mittel für die Expedition bereitstellen und die Unternehmung segnen. Golden auch die Kleidung der anderen Kirchenvertreter sowie die Mäntel des Königspaars Isabella und Ferdinand, bei denen der Titelheld jahrelang vergeblich antichambriert hatte. Gold also, wie im Goldenen Kalb als schnöder Mammon angebetet im Alten Testament.
Columbus‘ Auftrag ist klar: Für König und Kirche soll er Reichtümer und neue Untertanen requirieren. Er selbst allerdings ist von der Vision beseelt, die Passage nach Indien in Richtung Westen zu finden. Dass er damit das spätmittelalterliche, zweidimensionale Weltbild der katholischen Kirche herausfordert, befeuert seine Entdeckerlust. Die großen Mathematiker der Antike hatten bereits vor der Zeitenwende Berechnungen angestellt, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel sei. Das galt es im Jahre 1492, am Wendepunkt zur Neuzeit, zu beweisen.
Die Geschichte ist hinlänglich bekannt. Die Konquistadoren brachten unendliches Leid über die eroberten Länder und Menschen. Rauben, Brandschatzen, Meucheln und Morden wurde zum täglichen Geschäft der Mannschaften, die sich häufig genug aus Verbrechern und Gesindel rekrutierten. In Columbus beleuchtet Werner Egk, der auch das Libretto für seine Oper schrieb, die beiden Aspekte der Entdeckerfahrten, indem er – wie im epischen Theater und den Verständnismöglichkeiten des Rundfunks geschuldet – zwei Erzähler in das Narrativ einbindet. Die junge Stimme (Christoph Gummert) intoniert den Aufbruchsgeist, die Explorationslust, fokussiert auf die Erkenntnisse der Wissenschaft und den Verstand. Die reife Stimme (Bernd Braun) repräsentiert die Vorurteile und überkommenen Ansichten der alten, kirchlichen Autoritäten, voller Häme und Arroganz. Gekleidet sind sie identisch; ihr argumentativer Diskurs könnte auch den „inneren Dialog“ des Titelhelden darstellen.
In drei Teilen mit sich wiederholenden Szenen erzählt Egk den Aufstieg des ambitionierten, aber mittellosen Abenteurers, seinen beispiellosen Erfolg und die überbordende Glorifizierung des Admirals und Vizekönigs und schließlich die Meuterei, die Verfemung und den Untergang des vormaligen Lieblings von Kirche und Krone. Der Regisseur Jakob Peters-Messer lässt die drei Elemente von „Bericht und Bildnis“, wie die Oper im Untertitel heißt, ohne Pause in gut eineinhalb Stunden spielen. Das Bühnenbild eine allzu üppige Ansammlung von Artefakten, Video-Monitoren und Skulpturen, eine visuelle Überstimulierung. In der Mitte thront – im wahrsten Sinne des Wortes – die Nachbildung einer Statue von Königin Isabella mit Columbus, der ihr huldigend die Welt als Kugel reicht. Das Original stand bis vor 4 Jahren im Kapitolsaal des Staates Kalifornien in Sacramento und wurde im Laufe der Protestaktionen gegen den Mord an Georges Floyd vom Sockel gestoßen. Columbus‘ Eroberungszüge gelten heute allgemein als Beginn von Rassismus, Sklavenhandel und Ausrottung der indigenen Völker.
Erklärtermaßen wollte der Regisseur mit seiner Inszenierung Kolonialismus- und Kapitalismuskritik thematisieren, dabei den historischen Kontext von der Entstehung und der Position des Komponisten zu Zeiten des Nationalsozialismus außen vor lassen. Werner Egk ist bis heute eine umstrittene Figur; er zählte zu den musikalischen Lieblingen von Hitler und Goebbels, fand einen Platz auf der Liste der Gottbegnadeten und konnte nach einem als sauber überstandenen Entnazifizierungsprozess schon zwei Jahre nach dem Ende des 2. Weltkriegs an seine Karriere anknüpfen.
Die Musik in Columbus präsentiert eine eklektische Melange aus allen Strömungen der Zeit, er bedient sich einer abwechslungsreichen Collagetechnik mit Anklängen an Stravinsky, Ravel, Strauss. Ohne Vorspiel setzt der Chor mit einem Tutti fortissimo ein, bei dem man sich verwundert die Augen reibt oder die Ohren kneift. Nein, nicht die Carmina Burana! Aber Carl Orff war der Lehrer von Werner Egk in München, daher der Einfluss. Egks Komposition oszilliert zwischen bombastischen Chorgesängen, lyrischen Soli, spanischem Lokalkolorit, südamerikanischen Tänzen, rhythmischem Wellenschlag und hoffnungsfrohem Vogelgezwitscher, wenn nach 40 Tagen (Jesus in der Wüste!) endlich Land in Sicht ist. Königstrompeten und vermeintliches Stampfen der Indigenen tragen zur Vielfalt der Musik bei.
Hermes Helfricht dirigiert souverän das Beethoven Orchester Bonn, das für die oft überschwängliche Komposition ein wenig zu schwach rüberkommt. Der Platz hinter Chor und Extrachor plus Solisten und Sprechern schluckt leider Klangvolumen. Dennoch: großer Applaus für diese Leistung. Mit begeistertem Beifall bedachte das Publikum auch Anna Princeva als einzige weibliche Solistin und ihre männlichen Kollegen Carl Rumstadt, Santiago Sanchez, Christopher Jähnig, Mark Morouse, Martin Tzonev und Tae Hwan Yun. Alle glänzten in ihren überschaubar kurzen Auftritten, allen eigen: eine ausgezeichnete Textverständlichkeit! In der Titelrolle war Giorgos Kanaris fast durchgehend auf der Bühne präsent. Dabei interpretierte er die kraftvolle Entschlossenheit des Abenteurers stimmlich und darstellerisch ebenso vorzüglich wie den vom Leben und seinen Überzeugungen enttäuschten alten Seefahrer. Die berührendste Szene bildet die Pietà im Duett mit Anna Princeva. Die Beiden harmonieren fein als einfühlsames Paar, das die bittere Erkenntnis zieht: Reichtum bringt nicht den erhofften Fortschritt.
Die größte, beste und strahlendste Rolle hatten die Chorsängerinnen und Chorsänger. Toll, wie sie von allen Etagen des Bonner Opernhauses mit ihren Stimmen einen Dolby-Surround Sound erklingen lassen und allen Situationen – auch in der Kommentarfunktion des antiken Chors sowie als Gläubige in katholischen Oratorien mit dem Te deum – sängerischen Ausdruck verleihen. Ihr Chorleiter Marco Medved dabei zum ersten Mal als Gast im heimischen Ensemble – wie eh und je gefeiert.
Das Theater Bonn spielt Columbus noch dreimal, am 20., 22. und 28. Juni 2024, jeweils mit interessanten Begleitveranstaltungen. Infos und Karten hier.
* Als Ergänzung ein Gedicht von Goethes Zeitgenossen Johann Gottfried Herder, der die gleichermaßen segensreichen und verheerenden Folgen der Expeditionen bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts so formuliert.
Columbus
Ha, Schöpfer Colon! Ha, wie hast du uns die Welt
mit Land und Volk und Silbergeld
und Schmuck und Zier und Wissenschaft
ums Viertheil uns vermehret.
Ach, Mörder Colon! Ach, wie hast du uns die Welt
und alles, was sie Schönes hält,
Reiz, Sitte, Leben, Jugendkraft,
mit deinem Gift verheeret.
Herzlichen Dank für diese detailreiche Beschreibung dieses Opernereignisses…Eine großartige Gesamtleistung!!!!
Susanne Gundelach
LikeLike