Operngenuss pur – nur drei großartige Sänger und eine fantastische Sängerin sowie das Gürzenich Orchester und der Chor auf einer puristischen Bühne interpretierten Les pêcheurs de perles (Die Perlenfischer) von Georges Bizet und rissen das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Ein Glücksgriff für die Oper Köln mit dem letzten Repertoire-Stück dieser Spielzeit und eine musikalische „Perle“, die ohne jegliches Regie-Beiwerk einfach nur durch hohe musikalische Kunst entzückte.
Georges Bizet gehört sicher zu den tragischen Komponisten, deren Werke erst posthum die verdiente Anerkennung erlangten. Ebenso wie Carmen zunächst floppte, heimsten auch die Perlenfischer mehr Kritik als Lob ein. Und so wie Bizet nie in Spanien war und dennoch die couleur locale für andalusische, erotisch aufgeladene heiße Nächte so trefflich instrumentierte, so wenig war er in Ceylon, dem heutigen Sri Lanka, wo die Handlung der Perlenfischer spielt. Mit Zimbeln, orientalischen Oboentönen und scharfen Einsätzen der Piccoloflöte, Rhythmuswechseln und lieblichen Melodien kreiert er hier das exotische Flair des Südpazifik. Auf leicht bekleidete Südsee-Schönheiten kann man da durchaus verzichten.
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Die Handlung – eine typische Dreiecksgeschichte. Zwei Männer – Nadir und Zurga – verlieben sich in dieselbe Frau, die Priesterin Leila. Beide verzichten. Beim erneuten Aufeinandertreffen schwören sie einander ewige Freundschaft und Treue in einem der beiden Welthits der Duette zwischen Tenor und Bariton „Au fond du temple saint“, unsterblich gemacht von Fritz Wunderlich und Hermann Prey sowie von Jonas Kaufmann und Dmitri Hvorostovsky. 1863 feierten Die Perlenfischer ihre Uraufführung in Paris, nur vier Jahre später präsentierte Giuseppe Verdi einen ähnlichen Welthit in Don Carlos, „Dio, che nell’alma infondere amor“. In beiden Opern führt der Schwur zum Tod.
In beiden Opern erklingt das Duett bereits wenige Minuten nach der Ouvertüre. Bizet macht daraus ein Leitmotiv; in der Folge übernimmt es Leila allein, es erklingt im Terzett und schließlich singt Zurga es gemeinsam mit dem Chor als Todesstrafe für die Frevlerin Leila und den Eindringling Nadir – insgesamt fünf Mal. Es geht durch alle Instrumente: Harfe und Flöte, gezupfte Violinen und Bässe, Pizzicati der Streicher, Klarinette und Streicher tutti. Hoher Wiedererkennungswert und ständige Erinnerung daran, dass alle hier ihren Schwur brechen. Leila sollte auf irdisches Glück verzichten und als keusche Priesterin das äußerst gefährliche Perlenfischen mit göttlichem Beistand von Brahma und Shiva (nebulöse Anspielungen an fernöstliche Kultur und Religion) schützen. Einzig Zurga, der sich zum autokratischen Herrscher der Fischergemeinschaft hatte wählen lassen, erweist sich als großherziger, weiser Mann, der dem Liebespaar zur Flucht verhilft. Seinen Großmut bezahlt er mit seiner Einsamkeit; er bleibt allein zurück.
Die Damen und Herren des Chors der Oper Köln glänzen in der Vielfalt der äußerst differenziert komponierten Rollen. Gemeinsam mit dem herrlich gestimmten und vom jungen Dirigenten Nicholas Carter geführten Gürzenich Orchester erfüllen sie den Raum mit hymnischen Gesängen, stellen den Mob mit seinen spontanen Todesurteilen dar und verleihen der Angst während des Gewitters (das um nichts hinter Rossini und Verdi zurücksteht) Ausdruck. Bravi tutti, bravo Rustam Samedov, Maestro del Coro.
In perfekter Harmonie mit der musikalischen Raffinesse von Chor und Orchester gestalteten die vier Solisten (tatsächlich der komplette Cast der Perlenfischer). Anthony Leon, amerikanisch-kubanischer-columbianischer Herkunft, steuerte mit seinem jungen Tenor einen respektablen Nadir zum Gesangsfest der Perlenfischer bei. Er verfügt über eine elegante, feine Stimme, der allerdings im Duett mit Zurga oder Leila (noch) die Kraft in den Höhen fehlte. Insik Choik zügelte seinen wunderbar warmen Bariton da deutlich vernehmbar. Er verwöhnte dann allerdings das Publikum mit einer souveränen Solo-Arie, die alle Gestaltungsmöglichkeiten seiner Tessitura ausschöpfte und in herrliche Töne kleidete. Die Männerstimmen komplettiert Christoph Seidl als Nourabar, der mit seinem volltönenden, großen Bass mühelos über Orchester und Chor reicht und als kühler Kopf und Dorfältester die Gemüter besänftigt.
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Als die Neuentdeckung des Abends – zumindest an der Oper Köln – erwies sich die Spanierin Sara Blanch. Selten erlebt das Publikum eine Sängerin, die auf der ganzen Linie punktet. Sie führt ihren leichten lyrischen Sopran mit Glanz in den Spitzen, mit einer großen Palette von Farben, mit vollem Klang und perlenden Koloraturen, mit fabelhaft voluminösen großen Bögen und spielerischer Finesse der Verzierungen sowohl im Solo als auch in den Duetten. Darüber hinaus eine wahrhaftig glänzende Erscheinung: Zwischen den Herrn im Abendanzug und vor dem dunklen Orchester sah sie einfach hinreißend aus in ihrem bodenlangen, glitzernden rosé Paillettenkleid. Man darf gespannt sein, ob die Oper Köln ihr bald die Bühne für eine volle szenische Produktion öffnet.
Fazit: Georges Bizet hat mit der Oper Die Perlenfischer ein musikalisches Kleinod geschaffen, das im Staatenhaus der Oper Köln rein akustisch das Publikum verzauberte. Ein Ohrenschmaus und die alte Devise einmal abgewandelt: Prima la musica e i cantanti!
Die Oper Köln spielt Die Perlenfischer noch am 11. und 20. Juni 20224. Infos und Tickets hier.